Coda (Children of Deaf Adults)

Coda (Children of Deaf Adults) bezeichnet hörende Kinder gehörloser Eltern, die eine einzigartige bikulturelle Identität zwischen der Gehörlosen- und der Hörwelt entwickeln. Etwa 90% der Kinder gehörloser Eltern sind hörend und wachsen als natürliche Brücke zwischen beiden Kulturen auf. Diese besondere Lebenssituation prägt ihre Identität, Sprachentwicklung und sozialen Erfahrungen nachhaltig und schafft eine eigene Gemeinschaft mit gemeinsamen Herausforderungen und Stärken.

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Definition und grundlegende Merkmale

Coda (Children of Deaf Adults) sind Personen, die von einem oder beiden gehörlosen Elternteilen oder rechtlichen Vormunden aufgezogen wurden. Der Begriff umfasst sowohl Kinder als auch Erwachsene, wobei für Minderjährige unter 18 Jahren manchmal die Bezeichnung KODA (Kids of Deaf Adults) verwendet wird.

Diese Kinder entwickeln typischerweise eine bilinguale und bikulturelle Identität, da sie sowohl die Gebärdensprache ihrer Eltern als auch die Lautsprache der Mehrheitsgesellschaft erlernen. Sie navigieren täglich zwischen der visuell orientierten Gehörlosenkultur zu Hause und der auditiv geprägten Hörwelt außerhalb.

Die meisten Codas werden als natürliche Vermittelnde zwischen beiden Welten sozialisiert und übernehmen oft die Rolle von Sprachmittlern für ihre Eltern. Diese Position bringt sowohl Vorteile als auch Herausforderungen mit sich, die ihre Persönlichkeitsentwicklung maßgeblich beeinflussen.

Sprachentwicklung und Kommunikation

Die Sprachentwicklung von Codas verläuft oft auf zwei parallelen Bahnen: Sie erwerben die Gebärdensprache ihrer Eltern als erste Sprache und entwickeln später oder gleichzeitig Kompetenzen in der gesprochenen Sprache durch Kontakt mit der Hörwelt.

Wenn zu Hause keine gesprochene Sprache verwendet wird, können Codas eine Verzögerung beim Erwerb der Lautsprache erleben. Diese wird jedoch typischerweise ohne formale Unterweisung aufgeholt, sobald sie durch Familienangehörige, Nachbarn oder in der Schule der Hörgemeinschaft ausgesetzt sind.

Die Herausforderungen, denen hörende Kinder gehörloser Eltern gegenüberstehen, ähneln denen vieler Kinder der zweiten Generation von Einwandererfamilien. Wie Einwandernde der ersten Generation oft Schwierigkeiten mit der Mehrheitssprache haben, können gehörlose Eltern auf die größere Sprachkompetenz ihrer bilingualen Kinder angewiesen sein.

Rolle als Sprachmittelnde und Verantwortung

Codas fungieren häufig als Dolmetschende für ihre Eltern, was besonders problematisch werden kann, wenn Kinder gebeten werden, Nachrichten zu übersetzen, die kognitiv oder emotional für ihr Alter ungeeignet sind. Diese Rolle als „Language Broker“ beginnt oft sehr früh und kann zu einer Form der Parentifizierung führen.

Du findest, dass viele Codas bereits im Kindesalter Verantwortung für erwachsene Aufgaben übernehmen müssen: Telefonanrufe führen, bei Behördengängen dolmetschen, medizinische Termine begleiten oder bei wichtigen Entscheidungen vermitteln. Diese frühe Verantwortungsübernahme kann einerseits wertvolle Kompetenzen entwickeln, andererseits aber auch belastend sein.

Die Gesellschaft verlässt sich oft darauf, dass Codas als „24-Stunden-Miniübersetzer“ verfügbar sind, anstatt professionelle Dolmetschende zu organisieren oder barrierefreie Umgebungen zu schaffen. Diese Erwartungshaltung kann die normale Kindheitsentwicklung beeinträchtigen.

Identitätsentwicklung zwischen zwei Kulturen

Die Identitätsentwicklung von Codas ist geprägt von der Navigation zwischen zwei verschiedenen kulturellen Welten. Sie entwickeln ein tiefes Verständnis für beide Kulturen und können als kulturelle Brücken fungieren, erleben aber auch die Herausforderung, in keine der beiden Welten vollständig zu gehören.

Viele Codas beschreiben ein Gefühl des „Dazwischenseins“: Sie sind nicht gehörlos genug für die Gehörlosengemeinschaft und nicht typisch hörend genug für die Hörwelt. Diese Ambivalenz kann zu Identitätskonflikten führen, aber auch zu einer einzigartigen Perspektive auf beide Kulturen.

Die bikulturelle Identität ermöglicht es Codas, kulturelle Nuancen zu verstehen, die anderen verborgen bleiben. Sie entwickeln oft eine besondere Sensibilität für Kommunikation, Inklusion und kulturelle Unterschiede, die sie zu wertvollen Vermittelnden in verschiedenen Lebensbereichen macht.

Soziale Herausforderungen und Vorurteile

Codas sind oft Vorurteilen gegen ihre Familie ausgesetzt. Die Isolation kann Kinder normaler sozialer Kompetenzen berauben. Viele Menschen nehmen an, dass die gesamte Familie gehörlos ist, weil alle gebärden und auf diese Weise kommunizieren können.

Umstehende machen möglicherweise negative Kommentare über die Gehörlosengemeinschaft in Anwesenheit der Familie, ohne zu erkennen, dass das Kind hören kann. Gehörlose Eltern verstehen möglicherweise nicht ausreichend, dass während gehörlose Menschen wegschauen oder ihre Augen schließen können, hörende Menschen verletzende Worte nicht so einfach ignorieren können.

Codas behalten oft verletzende Kommentare für sich und tragen zusätzliches Gewicht zu den bereits schwierigen Umständen bei. Diese emotionale Belastung kann sich auf ihre psychische Gesundheit und sozialen Beziehungen auswirken.

Praktische Herausforderungen im Alltag

Der unterschiedliche Hörstatus kann auch praktische Probleme aufwerfen. Gehörlose und hörende Menschen unterscheiden sich in visuellen Aufmerksamkeitsmustern – gehörlose Menschen werden leichter durch Bewegungen in der peripheren Sicht abgelenkt, während hörende Menschen stärker auf auditive Reize reagieren.

Diese Unterschiede können zu Missverständnissen im Familienalltag führen. Codas müssen lernen, zwischen diesen verschiedenen Wahrnehmungsweisen zu vermitteln und Familienangehörigen zu helfen, die Perspektive der anderen Welt zu verstehen.

Technische Hilfsmittel wie Blitzlichter für Türklingeln, Vibrationswecker oder Texttelefone prägen den Alltag und müssen von Codas verstanden und erklärt werden können, wenn Freunde oder Bekannte zu Besuch kommen.

Organisation und Unterstützungsnetzwerke

Millie Brother gründete 1983 die Organisation Coda (Children of Deaf Adults) als gemeinnützige Organisation für hörende Kinder gehörloser Eltern. Die erste jährliche Konferenz fand 1986 in Fremont, Kalifornien statt und hat sich zu einer internationalen Veranstaltung mit Teilnehmenden aus der ganzen Welt entwickelt.

Coda zielt darauf ab, das Bewusstsein für die einzigartigen Erfahrungen und Probleme zu schärfen, die mit dem Aufwachsen zwischen diesen beiden Kulturen verbunden sind. Die Organisation bietet ein Forum für Codas, um gemeinsame Probleme und Erfahrungen mit anderen Codas zu diskutieren.

Unabhängig von den verwendeten Laut- und Gebärdensprachen glaubt Coda, dass Gefühle und Erfahrungen, die aus der binären Beziehung der beiden unterschiedlichen Kulturen entstehen, universell von Codas empfunden werden.

Unterstützungsangebote für Familien

Es gibt Unterstützungsgruppen für gehörlose Eltern, die sich Sorgen über die Erziehung ihrer hörenden Kinder machen, sowie Unterstützungsgruppen für erwachsene Codas. KODAheart bietet pädagogische und Freizeitressourcen für gehörlose Eltern und hörende Kinder über eine Bildungswebsite und Pop-up-Camps.

Mehrere Camps wurden für KODAs eingerichtet: Camp Mark Seven wurde 1998 als erstes KODA-Camp gegründet und bietet zwei zweiwöchige Programme für Campende im Alter von 9 bis 16 Jahren. Camp Grizzly veranstaltet ein einwöchiges Programm für Teenager-Codas.

KODAWest ist ein einwöchiges Camp in Südkalifornien, das jährlich im Sommer für Campende im Alter von 8 bis 15 Jahren abgehalten wird. KODA MidWest findet in Wisconsin statt und hat mehrere Sitzungen für verschiedene Altersgruppen von 7 bis 16 Jahren.

Positive Aspekte der Coda-Erfahrung

Trotz der Herausforderungen bringen viele Codas ihre bikulturelle Erfahrung als Bereicherung zum Ausdruck. Sie entwickeln oft außergewöhnliche Kommunikationsfähigkeiten, kulturelle Sensibilität und Anpassungsfähigkeit, die ihnen in verschiedenen Lebensbereichen zugutekommen.

Die frühe Exposition gegenüber Vielfalt und die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Kommunikationsformen zu wechseln, fördern kognitive Flexibilität und Problemlösungskompetenzen. Viele Codas berichten von einem tiefen Verständnis für Inklusion und sozialer Gerechtigkeit.

Die einzigartige Perspektive, die sie durch das Leben in beiden Welten entwickeln, macht sie zu wertvollen Brückenbauern in einer zunehmend diversen Gesellschaft. Sie verstehen sowohl die Herausforderungen als auch die Stärken von Minderheitengemeinschaften.

Berufliche Wege und Karrieremöglichkeiten

Viele Codas wählen Berufe, die ihre bikulturellen Kompetenzen nutzen. Sie arbeiten häufig als Gebärdensprachdolmetschende, in der Sozialarbeit, im Bildungswesen oder in anderen Bereichen, die mit der Gehörlosengemeinschaft verbunden sind.

Ihre natürliche Sprachkompetenz und ihr kulturelles Verständnis machen sie zu geschätzten Fachkräften in diesen Bereichen. Gleichzeitig wählen viele Codas bewusst Karrieren außerhalb der Gehörlosenwelt, um ihre eigene Identität jenseits ihrer Familiengeschichte zu entwickeln.

Die Kommunikationsfähigkeiten, die Codas entwickeln, sind in vielen Berufsfeldern wertvoll: von der internationalen Zusammenarbeit über das Management bis hin zu therapeutischen Berufen.

Forschung und wissenschaftliche Betrachtung

Die wissenschaftliche Forschung zu Codas hat sich in den letzten Jahren von einem defizitorientierten zu einem stärkenbasierten Ansatz entwickelt. Frühere Studien konzentrierten sich hauptsächlich auf Sprachverzögerungen oder „problematische“ Entwicklungsverläufe.

Neuere Forschung untersucht Identität, Zugehörigkeitsgefühl und die Navigation zwischen zwei Kulturen. Julia Pichler und Hadas Eidelman von der Harvard Graduate School of Education entwickelten eine Umfrage, die Coda-Erfahrungen und -Identität in den Mittelpunkt stellt.

Ihre Ergebnisse zeigen, dass trotz verschiedener Herausforderungen die meisten Codas stolz darauf sind, Coda zu sein, und ihre Erfahrung als bereichernd empfinden. Diese Forschung hilft dabei, ein differenzierteres Bild der Coda-Erfahrung zu zeichnen.

Kulturelle Bedeutung und Mediendarstellung

Der 2021 erschienene Film „Coda“ gewann 2022 den Oscar für den besten Film und brachte die Erfahrungen von Codas einer breiteren Öffentlichkeit nahe. Troy Kotsur machte Geschichte als erster gehörloser Schauspieler, der einen Oscar gewann.

Während der Film wichtige Aufmerksamkeit für Coda-Erfahrungen schuf, betonen Fachleute, dass er nur eine von vielen möglichen Geschichten erzählt. Die Vielfalt der Coda-Erfahrungen ist groß und hängt von verschiedenen Faktoren wie Familiengröße, sozioökonomischem Status und regionalen Unterschieden ab.

Der „Mother Father Deaf Day“ wird seit 1994 am letzten Sonntag im April gefeiert und ehrt gehörlose Eltern hörende und gehörlose Kinder. Diese Feier erkennt die Gaben von Kultur und Sprache an, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Unterstützung für Bildungseinrichtungen

Bildungseinrichtungen und Fachkräfte benötigen ein besseres Verständnis für die einzigartigen Situationen, denen Codas in ihrer Rolle als Vermittelnde gegenüberstehen. Schulen müssen gleichen Zugang für gehörlose Eltern gewährleisten, damit sie in die Bildung ihrer Kinder einbezogen werden können.

Mangelnde Kommunikation darf niemals der Grund dafür sein, dass gehörlose Eltern keinen Zugang oder keine Informationen über ihr Kind haben. Lehrkräfte sollten über die besonderen Bedürfnisse von Codas informiert sein und angemessene Unterstützung anbieten.

Es ist wichtig, dass Codas als bikulturell und bilingual anerkannt werden und unterschiedliche Bedürfnisse für ihre hörenden und gehörlosen Identitäten haben. Jedes hörende Kind muss fließend mit seinen gehörlosen Eltern kommunizieren können.

Coda (Children of Deaf Adults) repräsentieren eine einzigartige Gemeinschaft, die zwischen der Gehörlosen- und Hörwelt navigiert. Ihre Erfahrungen sind geprägt von besonderen Herausforderungen, aber auch von wertvollen Kompetenzen und Perspektiven. Mit zunehmendem Bewusstsein für ihre Situation entstehen bessere Unterstützungsstrukturen und ein differenzierteres Verständnis für ihre bikulturelle Identität. Codas tragen als natürliche Brückenbauer zu einer inklusiveren Gesellschaft bei.

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